Executive Search Firmen stehen in der Türkei vor größeren Hindernissen als in anderen europäischen Ländern. Dies ist zumindest die Einschätzung von Fatih Algan, Managing Partner bei Ageo International, einem Executive Search Unternehmen und InterSearch-Mitglied mit Sitz in Istanbul. Als Land, das mit Wirtschaftskrisen und einer hohen Inflationsrate zu kämpfen hat, ist die Türkei kein einfaches Pflaster für qualitativ hochwertige und hochpreisige Personalsuchen. Kund:innen verließen sich hier immer noch auf klassisches Recruiting mit Erfolgshonorar-Modell. Retainer-Modelle seien nicht so etabliert und es fehle dafür häufig das Verständnis auf Kundenseite. Im Executive-Search-Sektor dagegen gingen ca. 75% aller Aufträge an globale Player. In Anbetracht der Hürden, die es im türkischen Executive Search Markt zu überwinden gilt, schätzt Algan das internationale InterSearch-Netzwerk besonders. „Die vielen Partnerunternehmen und die starke Position am internationalen Markt helfen uns, die Qualität unserer Dienstleistungen beim Kunden zu erklären.“ Das Netzwerk verleihe außerdem eine Legitimität gegenüber Konkurrenzunternehmen.
Kunden müssen den Unterschied zwischen Executive Search und Recruiting noch lernen
Eine der größten Herausforderung, die Algan bei seiner Arbeit als Executive Search Consultant bewältigen muss, ist die Tatsache, dass Executive Search in der Türkei nicht so etabliert ist, wie in anderen Ländern. „Die Kund:innen verstehen oft nicht den Unterschied zwischen Executive Search und Recruiting und beauftragen häufig klassische Recruiting-Firmen, wenn die Suche eigentlich bei einer Executive Search Firma in den richtigen Händen wäre.“ Dies führe häufig zu Enttäuschungen, wenn die Kandidat:innen nicht die gewünschte Qualität haben. „Klassische Recruiter:innen stellen häufig nicht die richtigen Fragen, weil ihnen die Erfahrung im Management und der jeweiligen Branche fehlt“, erklärt Algan. Sie seien häufig noch recht jung und hätten selten die nötigen Kenntnisse, um Positionen im mittleren Management und „C-Level“ zu besetzen. Algan sieht es daher als eine Aufgabe von Executive Search Firmen in der Türkei, ihre Kund:innen über die Unterschiede aufzuklären und deutlich zu machen, welche Vorteile die Arbeit mit erfahrenen Executive Search Consultants im Rahmen eines Retainer-Modells hat. „Die Einstellung des Kunden, immer die günstigste Lösung zu wählen, muss sich ändern“, fügt Algan hinzu.
Respekt und Alter spielen eine Rolle
Neben den klassischen Qualifikationen, die ein Executive Search Consultant überall auf der Welt mitbringen sollte – Business-Expertise, Verhandlungsgeschick, Kommunikationsfähigkeit – spielen im türkischen Markt auch noch andere Faktoren eine Rolle. „Das Alter ist in der türkischen Kultur sehr wichtig. Kund:innen und Kandidat:innen könnten einen jüngeren Recruiter nicht für voll nehmen“, sagt Algan. Erfahrung und eine gewisse Gravitas seien hilfreich bei der Personalsuche. „Sonst kann es auch schon mal vorkommen, dass jemand sich gar nicht erst auf ein Gespräch einlässt“, erklärt er.
Personalsuche fordert Expertise – sonst kann es teuer werden
Algan führt als Beispiel einen langjährigen Kunden an, der neben seinem Zulieferunternehmen in der Automobilbranche ein Weingut mit angegliederter Käserei gründen wollte. Er beauftragte Algans Unternehmen damit, einen Leiter für die Käserei zu finden, zog den Auftrag jedoch zurück, nachdem ein neu eingestellter HR-Manager die Suche selbst in die Hand nehmen wollte. „6 Monate später hatte ich den Kunden erneut am Telefon, denn der neu eingestellte Leiter der Käserei hatte Gelder veruntreut und dem Unternehmen einen Schaden von über einer halben Million Euro verursacht. Letzten Endes habe ich dann einen Leiter für ihn gefunden, der auch heute noch erfolgreich im Unternehmen ist“, erinnert sich Algan. Dies sei natürlich ein recht extremes Beispiel, aber es zeige anschaulich, dass die Investition in einen guten Executive Search Consultant sich langfristig lohne.
Unternehmen und Pesonalberater:innen müssen proaktiv sein, um Talente zu finden und zu binden
Qualifizierte Kandidat:innen zu finden sei in der Türkei nicht schwieriger als in anderen Ländern, erklärt Algan. Mit Istanbul als Business-Hub mit 15 Mio. Einwohnern sei das Angebot vorhanden, es sei allerdings schwieriger geworden, Kandidat:innen vom Wechseln zu überzeugen. „Seit Corona wollen die wenigsten ihre Komfortzone verlassen. Und wenn, verlangen sie deutlich höhere Gehälter. Wo früher 15-20% Erhöhung beim Wechsel die Norm waren, werden heute 30% erwartet.“ Algan erläutert, dass es sowohl für Executive Search Unternehmen als auch ihre Kunden unerlässlich sei, bei der Suche von Talenten proaktiv zu sein. Als Executive Search Consultant sei eine der wichtigsten Komponenten der erbrachten Dienstleistung genau die Kandidaten zu finden und zu kontaktieren, die gar nicht darüber nachdenken, ihren Job zu wechseln. „Wir müssen zeigen, was uns von klassischen Recruiting-Firmen abhebt; welchen zusätzlichen Wert wir durch unsere tiefgreifende Beurteilung von Kandidaten bieten“, sagt Algan.“ Auf Unternehmensseite müsse die Initiative bereits ergriffen werden, bevor Stellen vakant werden. „Über geeignete Trainee-Programme und „Talent-Pipelines“ müssen unsere Kunden kontinuierlich für talentierten Nachwuchs sorgen.“ Selbst in Zeiten zunehmender Digitalisierung, in der auch die Personalsuche Gebrauch von Tools und Algorithmen macht, sieht Algan Executive Search weiter als ein „Face-to-Face“-Business: „Nach der Pandemie werden die Menschen merken, dass eine rein digitale Personalsuche nicht nachhaltig ist.“
Fatih Algan
Fatih Algan ist seit 2018 Managing Partner von Ageo International in Istanbul. Algan hat 16 Jahren Erfahrung in den Bereichen Marketing, Finance und HR in der Automotive-Branche und im Durable Goods Sektor. Vor seiner Arbeit in der Executive Search Branche war er als Commercial HR-Director bei einem führenden europäischen Hersteller für Haushaltsgeräte tätig. Algan arbeitet derzeit an seiner Promotion im Bereich Strategisches Management. Ageo International ist Teil des internationalen InterSearch-Netzwerks.
Die Türkei in Zahlen:
BIP: 719,5 Mrd. USD
Wirtschaftswachstum: 1,8% im Vergleich zum Vorjahr
Pro-Kopf-Jahreseinkommen: ca. 8.548 USD
Inflationsrate: 12,3% im Vergleich zum Vorjahr
Arbeitslosenquote: 13,2%
Erwerbsquote 43,4%
Beschäftigte im Dienstleistungssektor: ca. 55,9%
Quelle: destatis/Statista 2020